Ausgangspunkt des nachstehend verlinkten WELT Podcast „Offene Beziehungen: Vor- und Nachteile unverbindlicher Beziehungen“ ist die Frage einer jungen Frau, deren Freund ihr offenbart, dass er ihre Beziehung öffnen möchte.
Das nehmen die Paartherapeuten Anna Peinelt und Christian Thiel zum Anlass, über ihre Erfahrungen mit Paaren zu berichten, die in polygamen Beziehungen leben oder gelebt haben. Sie berichten über folgende Tendenzen:
- 01:20 – Die Angst, wirkliche Nähe zum Partner zuzulassen, würde öfters als „polyamor“ umgedeutet werden.
- 04:49 – Viele würden sich deshalb eine offene Beziehung wünschen, weil sie sich nicht festlegen wollen. Sich nicht festzulegen, werde mit „Freiheit“ assoziiert. Doch eigentlich sei derjenige unfrei, weil er sich (unbewusst) festgelegt habe, sich eben nicht festlegen zu wollen. Wer sich hingegen freiwillig auf einen Partner festlege, könne das volle Potential der Beziehung ausschöpfen. Das Auslagern von Sex mindere tendenziell die Tiefe zum Partner.
- 07:35 – Es sei immer möglich, sich außerhalb der Beziehung zu verlieben, doch das bedeute noch nicht, polyamor zu sein. Geteiltes Liebesglück sei nicht automatisch doppeltes Liebesglück.
- 08:50 – Das Auslagern von Sexualität außerhalb der Beziehung werde häufig dann versucht, wenn die Beziehung „langweilig“ und „monoton“ werde. Doch dieses Auslagern würde deutlich überwiegend nicht funktionieren, weil sich mindestens ein Partner neu verliebe. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Beziehung nach der Öffnung / dem Auslagern von Sexualität scheitere, würde bei rd. 90 % (!?) liegen.
- 10:23 – Alle Menschen haben das Recht, unverbindliche Beziehungen zu pflegen, doch müssen wir dann auch die Konsequenzen annehmen. Junge Menschen würden polygame Beziehungsformen in ihren 20er Jahren ausprobieren, doch überwiegend nicht in dieser Beziehungsform verbleiben. Polygamie sei überwiegend eine Lebensphase (wie bei den Mosuo?!).
- 14:10 – Pseudo-offene Beziehungen würden häufig vorkommen, weil oftmals nur ein Partner die Beziehung öffnen wolle und der andere nur einwillige, um den Partner nicht zu verlieren.
- 16:10 – Es gebe bestimmte Berufe und Kreise, in denen polygame Beziehungen „in“ seien.
- 18:55 – Evolutionsbiologisch seien insbesondere Frauen darauf geprägt, sich eine verbindliche Beziehung zu wünschen, weil ihnen letztendlich der größte Elternaufwand zufällt und sie sich die Unterstützung des Vaters bzw. eines Mannes wünschen.
- 21:54 – Die Pressestelle eines Portals für Polyamorie habe gebeten, die polyamore Beziehungsform in diesem Potcast zu bewerben, weil angeblich 80% der Paare polyamor veranlagt seien. Doch diese Zahl stamme aus einer Befragung von Mitgliedern dieses Portals und sei daher nicht repräsentativ. Befragungen aller Paare (auch außerhalb von polyamoren Portalen) ergab hingegen, dass nur 3 bis 5% in einer polygamen Beziehungsform leben würden. Aktuell könne festgestellt werden, dass polygame Beziehungsformen stark beworben werden.
- 25:55 – Der Wunsch eine offene Beziehungen zu führen, sollte gut überlegt sein und für beide Partner aus dem Herzen kommen. Wir sollten uns fragen, ob wir unseren Partner wirklich noch priorisieren können, wenn wir erfüllenden Sex mit jemand anderen erleben.
- 26:45 – Häufig würde bei dem Wunsch, die Beziehung zu öffnen, nur das Bedürfnis eines Partners im Vordergrund stehen (Ego). Es fehle dann die ehrliche Kommunikation über die Bereitschaft, in die Beziehung investieren zu wollen.
- 27:55 – Polygame Beziehungen seien oft „Operationen am offenen Herzen“.
- 28:10 – Die Öffnung der Beziehung bewirke bzw. verstärke ihre „emotionale Unterversorgung“ (weil ihr Energie entzogen wird), denn eine emotionale Versorgung erfolge dann zunehmend im Außen. Die emotionale Versorgung außerhalb der Beziehung führe deutlich überwiegend zu ihrer Zerrüttung.
- 29:26 – Nachlassende sexuelle Anziehung in langjährigen Beziehungen kann auch wiederhergestellt werden. Oft habe das Paar die Mechanismen verlernt.
Bei den Recherchen zu meinem Buch habe ich viele Beiträge gehört und gelesen, welche mit vielen der Erfahrungen von Anna Peinelt und Christian Thiel übereinstimmen. Das bedeutet nicht, dass polygame Beziehungen unglücklicher als monogame sind, sondern dass sie tendenziell keine Lösung für die Herausforderungen monogamer Beziehungen anbieten können. Im Gegenteil: Die Herausforderungen polygamer Beziehungen werden größer.
Dass sich manche von uns nicht festlegen wollen, hängt häufig auch mit dem „Überangebot“ (Overchoice) potentieller Partner zusammen. Online-Kontaktbörsen suggerieren, dass es vielleicht noch irgendwo jemanden gibt, der besser zu uns passt. Wir bekommnen Angst, etwas zu verpassen (Fear Of Missing Out – FOMO). Das sogenannte Marmeladen Experiment zeigt, dass wir uns umso schwerer entscheiden bzw. festlegen können, desto mehr Auswahl (Overchoice) wir haben.
Dabei sind wir gerade immer mit dem Partner zusammen, der genau zu uns passt – uns aber nicht gut tun muss. Wenn wir einen Partner kennenlernen wollen, der uns wirklich gut tut, so müssen wir uns vorher auf eines festlegen: Dass wir uns selbst besser bzw. bewusster kennenlernen und uns selbst gut tun! In meinem Buch gehe ich auf das Phänoman von FOMO und Overchoice eingehender ein.
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