Auswirkung der Empfängnisverhütung

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Die sogenannte sexuelle Revolution, die Ende der 1960er Jahre stattfand, wäre ohne die Empfängnisverhütung nicht möglich gewesen. Erstmals überhaupt in der Geschichte der Menschheit wurde die Sexualität von der biologischen Aufgabe, Nachwuchs zu zeugen, zuverlässig entkoppelt. Schwangerschaften „Trotz Pille (TroPi)“ waren die große Ausnahme. Sex konnte ab diesem Zeitpunkt „just for fun“ erlebt werden.

Parallel zu dieser Entwicklung nahm die Anzahl von Anhängern der „Freien Liebe“ bzw. offenen Beziehungsformen deutlich zu. Eifersucht war plötzlich ein unreifes Gefühl und die Monogamie wurde als Sargnagel für die individuelle, freie Entfaltung angesehen. Die sexuelle Revolution traf auf monogame Beziehungen, die viel zu oft nicht aus Liebe, sondern aus familiärer und gesellschaftlicher Erwartung heraus geschlossen worden waren. Sexuelle Erfüllung stand damals kaum im Mittelpunkt der monogamen Ehe, viele Ehepartner hatten erst nach der Eheschließung Sex miteinander. Es ist ein bleibender Verdienst der sexuellen Revolution, dass die sexuelle Erfüllung heute einen hohen Stellenwert in Beziehungen – auch in monogam geprägten – erhalten hat.

Die sexuelle Revolution hat allerdings auch Ansichten hervorgebracht, die kritisch hinterfragt werden sollten. Dazu gehört insbesondere die Ansicht, dass die Menschen von Natur aus polygam seien und es daher ein Anzeichen von “persönlicher Reife” sei, wenn wir dies akzeptieren und in offenen Beziehungen leben würden. Dabei wird gerne übersehen, dass diese angeblich natürlich angelegte offene Beziehungsform ohne einen unnatürlichen bzw. künstlichen Eingriff in unsere Biologie – wie es Pille, Kondome, Spirale usw. nun mal sind – gar nicht möglich gewesen wäre.

Sexualität war seit jeher an eine mögliche Schwangerschaft gekoppelt, sodass sich über die Jahrtausende höchstwahrscheinlich ein emotionales Verhalten in unser genetisches Programm geschrieben hat, das parallele Beziehungen nicht so ohne Weiteres duldet. Denn der Elternaufwand ist bei uns Menschen sehr hoch und von einem Elternteil alleine schwer zu bewältigen. Aus diesem Grunde gehen wir insbesondere in der Lebensphase, in der wir eine Familie gründen wollen oder könnten, feste Beziehungen ein, damit sich beide Partner unterstützen. In Kulturen, in denen die Vaterschaftssicherheit eine Rolle spielt (was für fast alle Kulturen zutrifft), ist die Beziehungsform fast immer monogam oder polygyn. Eine offene Beziehung in der Art und Weise, wie sie im Ergebnis der sexuellen Revolution entstanden ist, wird selbst in polygam geprägten Kulturen nicht geführt.

Daher halte ich es für fragwürdig, dass die Empfängnisverhütung als ein künstlicher bzw. unnatürlicher Eingriff in unsere Biologie ein ausschließlich natürliches sexuelles Verhalten hervorbringt. Daran schließt sich die Frage an, ob offene Beziehungen, wie sie im Ergebnis der Empfängnisverhütung gelebt werden, alternativlos “unserer Natur” entsprechen. Zwar scheint auch Fremdgehen schon immer eine Fortpflanzungsstrategie von uns Menschen gewesen zu sein, allerdings nicht die vorherrschende.

Seit wir über eine zuverlässige Empfängnisverhütung verfügten, wurde verstärkt über den Ursprung von Eifersucht diskutiert. Ihre Entstehung wurde anfangs überwiegend auf die Zeit unserer Sesshaftwerdung vor ca. zehntausend Jahren datiert und damit vordergründig als kulturell geprägtes Phänomen betrachtet. Diese Ansicht war durchaus im Sinne der Anhänger polygamer Beziehungsformen, weil sie so argumentieren konnten, dass viele Paare nur aufgrund kultureller Prägungen ,wie beispielweise der Eifersucht, an der monogamen Beziehungsform festhalten würden. Dabei gibt es klare Hinweise darauf, dass sich die Eifersucht parallel mit unserer Evolution entwickelt hat. Denn sie sollte offenbar schon immer sicherzustellen, dass sich die Partner in ihrer Beziehung engagieren. Studien insbesondere auf dem Gebiet der evolutionären Psychologie zeigen, dass Eifersucht zumindest anteilig evolutionären Ursprungs ist und – in gesundem Maße – auch eine natürliche Schutzfunktion für unsere Beziehung besitzt. Die Ansicht, dass Eifersucht ausschließlich kulturell geprägt sei, kann als unzutreffend angesehen werden. Das Ansinnen, die Eifersucht loszuwerden, würde demnach zumindest anteilig ein evolutionäres Gefühl abschaffen.

Interessant finde ich in diesem Zusammenhang die Überlegung, dass Menschen ohne (!?) Eifersucht eine neue kulturelle Prägung erfahren haben könnten, weil sie gelernt haben, den evolutionär geprägten Anteil von Eifersucht nicht mehr wahrzunehmen bzw. zu verdrängen.

Meiner Ansicht nach sollten wir uns auch bewusstwerden, dass die Empfängnisverhütung eine wissenschaftliche Errungenschaft und damit Ergebnis unseres Verstandes samt seiner Logik ist. Umso erstaunlicher finde ich daher, dass die offene bzw. polyamore Beziehungsform gerade in manchen spirituellen Kreisen als besonders „reif“ angesehen wird, obwohl sie ja ohne den Erfolg der rationalen, nicht-spirituellen Logik des Verstandes (der ja aus spiritueller Sicht nicht maßgeblich für Entscheidungen sein sollte) unmöglich in dieser Form hätte praktiziert werden können. Würden diese spirituellen Kreise genauso argumentiert, wenn es keine zuverlässige Empfängnisverhütung gäbe? Ein wissenschaftlicher Erfolg des menschlichen Verstandes als Grundlage für die angestrebte geistig spirituelle Entwicklung – das halte ich für widersprüchlich.

Aus vorgenannten Gründen finde ich Ansichten schwierig, die offene Beziehungsformen als besonders „reif“ und “natürlich” hinstellen. Außerdem sprechen diese Ansichten den Generationen vor uns, die über keine zuverlässige Empfängnisverhütung verfügten, die Möglichkeit ab, dass sie diesen “Reifegrad” jemals hätten erreichen können. Nach diesen Ansichten scheint es fast so, als ob die Menschheit seit ihrer über die Jahrtausende andauernden Evolution nur auf die seit gerade mal 6 Jahrzehnten bestehende Möglichkeit der zuverlässigen Empfängnisverhütung gewartet hätte, um endlich von den schon immer als unnatürlich erlebten Fesseln der eingeschränkten Sexualität erlöst zu werden.

Chaos & Order – Jordan B. Peterson über die Auswirkungen der Empfängnisverhütung

Im vorstehenden Video spricht Jordan B Peterson über die Auswirkung der Empfängnisverhütung auf unsere Sexualität. Ähnlich wie Helen Fisher kommt auch er zu der Einschätzung, dass unsere Biologie eine Trennung von Sex, Beziehung und Liebe nicht (dauerhaft) vorsehe.

Im Kapitel “Evolutionäres Erbe” meines Buches beschäftige ich mich mit den Auswirkungen der Empfängnisverhütung auf unsere Beziehungen eingehender.

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