Grenzen ziehen – Standards und Dealbreaker

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In unserer heutigen Zeit, in der sich gesellschaftliche Strukturen immer mehr auflösen, erscheint das wichtiger denn je zu werden, seine persönlichen Grenzen zu finden. Dies ist vielleicht eine der größten Herausforderungen unseres Lebens.

Da es kaum noch gesellschaftlich moralische Vorgaben gibt, benötigen wird Situationen, die uns auffordern uns abzugrenzen. Nur so können wir unsere persönlichen Grenzen entwickeln. Andere werden uns immer wieder vor Situationen stellen, die unsere Grenzen hinterfragen und testen. Die Erfahrungen aus diesen Situationen sind es schließlich, aus denen wir unsere Grenzen entwickeln.

Wenn uns jemand an eine unserer Grenzen heranführt, bleibt es wichtig sich bewusst vor Augen zu führen, was ihr Ursprung ist. Wenn es von anderen – insbesondere unseren Eltern – übernommene Grenzen sind, so dürfen wir sie in diesem Moment in Frage stellen. Haben wir eine Grenze hingegen auf der Grundlage unserer selbst erlebten Erfahrungen gezogen, so sollten wir zwar hinterfragen, ob diese noch zu unserer Lebensphase passt – diese jedoch klar kommunizieren und einfordern, wenn sie noch immer integer ist.  

Grenzen erden uns! Ohne Grenzen wären wir demgegenüber abgehoben und unverbunden. Um in unseren Beziehungen geerdet und verbindlich bleiben zu können, scheint es sehr wichtig zu sein, dem Partner gegenüber Grenzen aufzuzeigen und einzufordern. Christian Hemschemeier spricht gerne von „Standards und Dealbreakern“ und empfiehlt Paaren über ihre Grenzen zu sprechen. Die meisten seiner Videos behandeln Beziehungsdreiecke und Fälle, in denen die Partner unterschiedliche Vorstellungen von der Beziehungsform haben oder im Laufe der gemeinsamen Beziehung entwickeln. Dabei versucht meistens der Partner, der sich eine monogame Beziehung wünscht, den anderen Partner, der sich eine polygame Beziehungsform wünscht, entgegenzukommen. Doch entgegenkommen kann er nur, wenn er seine Grenze hinterfragt bzw. verletzt. Meistens willigt der Partner, der eine monogame Beziehung zu führen wünscht, ein, um den anderen Partner nicht zu verlieren oder um „reifer“ zu werden, weil polygame Beziehungsformen von ihren Anhängern gerne als dem menschlichen Naturell entsprechend dargestellt werden. Doch ganz offensichtlich sind mehrere Beziehungsformen evolutionär in uns angelegt und ihre Präferenz hängt von unserer Lebensphase und Persönlichkeit ab. Sich für die eine oder andere Beziehungsform zu entscheiden, hat nichts mit einem höheren oder niedrigeren „Reifgrad“ zu tun.

Zu behaupten, dass die eine Beziehungsform reifer als eine andere sei, hat manipulative Züge. Dass polygame Beziehung per se nicht „reifer“ als monogame sind, führt Kiria Vandekamp im nachfolgenden Video ab Minute 2:16 aus.

Kiria Vandekamp über die „Reife“ offener Beziehungen

Reife zeigt sich am Umgang der Partner miteinander und nicht anhand der Beziehungsform.

Interessanterweise wird es von Frauen tendenziell (unbewusst) als attraktiv empfunden, wenn ihr Partner klare Grenzen aufzeigt und konsequent einfordert (gleiches kann in ähnlicher Weise auch für Männer unterstellt werden). Christian Hemschemeier schildert in seinem Buch „Feuer und Flamme“ exemplarisch für viele ähnliche Situationen die Geschichte eines Paares, in welcher die Frau Franca aller Wahrscheinlichkeit nach deshalb eine Affäre begonnen hat, weil sich ihr Mann Thomas – bis zum Zeitpunkt ihrer Paartherapie – zu wenig in seiner männlichen Polarität befand. Franca habe in der Therapiesitzung freimütig und teils „frech“ über ihre Affäre erzählt und Thomas provoziert. Der habe ruhig zugehört und schließlich gesagt: „Okay, ich gebe dir jetzt eine Woche zu entscheiden. Bis dahin kannst Du machen, was Du willst. Wenn ich deinen Typen bei uns im Haus sehe, wird er rausfliegen. Wenn du dich in einer Woche nicht entschieden hast, bin ich weg.“ Franca hätte ob dieser Ansage zwar nach Luft geschnappt und sich über Thomas‘ Ton beschwert, ihre Körpersprache hätte jedoch irgendwie Zufriedenheit ausgedrückt. Franca habe sich daraufhin entschieden, bei ihrem Mann zu bleiben und die Affäre zu beenden. Christian Hemschemeier fragt die Leser anschließend: „Wie wirkt diese Geschichte auf dich? Erstaunt dich der Ausgang? Mich nicht mehr, es ist wie vorprogrammiert.“ [Quelle: Christian Hemschemeier – Feuer & Flamme, arkana Verlag, 1. Auflage, Seiten 24 und 25]. Seiner Erfahrung nach ist es für eine Beziehung deutlich erfolgsversprechender, dem (untreuen) Partner die eigenen Grenzen aufzuzeigen anstatt um ihn „zu kämpfen“ oder die eigenen Grenzen zu überschreiten. Das trifft auf beide Geschlechter zu.

Meiner Ansicht nach besteht ein wesentlicher Sinn unseres Lebens darin, unsere integren Werte und damit verbunden auch die Grenzen zu erkennen und konsequent danach zu leben – also „Standards und Dealbreaker“ zu entwickeln. Welche Grenzen uns dabei helfen uns zu entwickeln und welche wir verwerfen sollten, ist die vielleicht herausfordernste Aufgabe unseres Lebens. Diejenigen, die ein völlig freies Leben ohne Grenzen anstreben, brauchen diese Welt für diese Entwicklung nicht. Denn auf dieser Welt ist Freiheit nicht grenzenlos.

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