In offenen aber auch in polyamoren Beziehungen ist das Veto- Recht eine weit verbreitete Regel. Mit dieser Regel gesteht sich das Paar gegenseitig zu, dass ein Partner dem anderen Partner eine beginnende oder bestehende Affäre untersagen darf.
Diese Regel wird ganz überwiegend vereinbart, um eine Bedrohung von der Erstbeziehung abzuwenden, die durch eine zu großen emotionale Nähe zu einem Sexpartner entstehen kann. Im Ergebnis der Recherchen zu meinem Buch widerspricht dieses Veto- Recht allerdings dem Gedanken der Freien Liebe und funktioniert in der Praxis nur eingeschränkt.
Zum einen: Wenn „Freie Liebe“ kein Konzept sondern wirklich „frei“ sein soll, dann darf sie keinen Einschränkungen unterliegen ,wie sie beispielsweise Regeln vorsehen.
Zum anderen: Es gehört zu den Dynamiken offener Beziehungen, dass sich insbesondere Frauen regelmäßig in Sexpartner verlieben – wie aus Studien der evolutionären Psychologie hervorgeht. Hat sich ein Erstpartner in einen Sexpartner erstmal verliebt, dann kann ein Veto daran nichts mehr ändern, es verliert in diesem Fall seine Schutzwirkung für die Erstbeziehung. In der Folge kommt der Erstpartner, der ein Veto einlegen könnte, in ein Dilemma. Denn wenn er diese Regel gebraucht, dann wird er sehr wahrscheinlich den Unmut seines Erstpartners auf sich ziehen, weil dieser gerade seine Zeit viel lieber mit dem Sexpartner als mit ihm verbringen möchte. Oder er sieht von seinem Veto- Recht ab, wodurch er seine eigenen Bedürfnisse, Befürchtungen und Emotionen übergeht. Einer der Erstpartner scheint in jedem Fall “zu verlieren”.
In dem nachfolgenden Ausschnitt aus einem Podcast von desired wird genau dieses Dilemma angesprochen, das die Veto-Regel mit sich bringt.
Auch im nachfolgenden Ausschnitt aus dem Podcast „Max und Anna Zimt – Geschichten einer offenen Beziehung“ wird gleich zu Beginn vom Veto- Recht gesprochen. Anna hat offenbar die Affäre mit Noah bereits begonnen und scheint sich in ihn auch verliebt zu haben, sodass Max in das zuvor beschriebenen Dilemma geraten sein dürfte. Er hat sich schließlich entschieden, kein Veto einzulegen. Viel spannender wären für mich die Auswirkungen auf Annas Affäre mit Noah sowie auf ihre Erstbeziehung mit Max gewesen, wenn Max doch ein Veto eingelegt hätte. Ich kann mir gut vorstellen, dass Anna dann in einen Loyalitätskonflikt geraten wäre – ähnlich wie es im vorangehenden Ausschnitt des Podcasts von desired geschildert wird. Die Schutzwirkung für die Erstbeziehung von Anna und Max war durch das Veto de facto nicht mehr gegeben.
Bleibt ein Erstpartner beim anderen oder kommt zu ihm zurück, nicht weil es sein Wunsch ist sondern weil es eine Regel – wie beispielsweise das eingelegte Veto – so vorsieht, dann mag zwar der „Körper“ des Erstpartners, der sich in einen Sexpartner verliebt hat, bei seinem Erstpartner anwesend sein – doch seine „Emotionen” sind es nicht. Kann ein Erstpartner dem anderen dann überhaupt noch „emotional treu“ sein? Und welchen Wert hat dann die Loyalität zum Erstpartner noch? Kommt der eine Erstpartner zum anderen vielleicht nur deshalb zurück, weil er den Aufwand scheut, die Beziehungsform an die neue Situation anzupassen?
Die Veto- Regel kann die Erstbeziehung solange schützen, wie sie den Beginn einer Affäre unterbindet. Besteht die Affäre hingegen bereits, dann verliert das Veto- Recht seine Schutzwirkung. Denn Gefühle lassen sich nicht verbieten.
Schreibe einen Kommentar