Der Liebe treu bleiben

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Der Titel dieses Artikels entspricht der Quintessenz des Buches „Treue ist auch keine Lösung“ der Autoren Lisa Fischbach und Holger Lendt. Beide Autoren plädieren gegen Ende ihres Buches dafür, dass Paare, unabhängig von der geführten Beziehungsform, mehr Liebe wagen sollten.

Viele Philosophen haben sich schon den Kopf darüber zerbrochen, was genau das Gefühl der „Liebe“ ist und welche Eigenschaften die Liebe am besten beschreiben. So meint beispielsweise Richard David Precht in seinem Buch „Liebe“, dass Liebe als eine Art Nebenprodukt unserer Evolution betrachtet werden könne. Dieses Nebenprodukt könne als „Spandrel“ betrachtet werden, welches bei der Anpassung an unsere Umwelt entstanden sei. Eine sehr nüchterne Betrachtung fern jeder Romantik.

Alle Betrachtungen zum Phänomen der Liebe scheinen jedoch darin übereinzustimmen, dass Liebe als Gefühl einer inneren Verbundenheit beschrieben werden kann. Wenn wir der Liebe treu bleiben wollen, dann müssten wir auch diesem Gefühl der Verbundenheit Raum und Zeit geben. Umgekehrt würden wir der Liebe untreu werden, wenn wir sie unterdrücken oder verdrängen. Keine Beziehungsform „schützt“ die Partner davor, dass sich einer in jemand anderen „fremdverliebt“. Doch die Dynamiken offener Beziehungen führen dazu, dass sich Erstpartner häufiger als bei anderen Beziehungsformen in jemand anderen verlieben. Offene Beziehungen legen es quasi darauf an, Gefühle der Liebe hervorzurufen, denn insbesondere bei Frauen sorgen die beim Sex hergestellte körperliche Intimität und die ausgeschütteten Bindungshormone dafür, dass eine Verbundenheit namens Liebe entsteht.

Interessanterweise kann bei offen lebenden Paaren beobachtet werden, dass dieses Gefühl der Verbundenheit, die ein Erstpartners zu einem Affären-Partner entwickelt hat, sehr häufig nicht als „Liebe“ bezeichnet wird. Stattdessen wird dieses Gefühl mit „Verknalltsein“ „Crush“, „Interested“  usw. umschrieben, vermutlich deshalb, um diesem Gefühl der Verbundenheit zu einem Affären-Partner eine geringere Bedeutung beizumessen als dem Gefühl dem Erstpartner gegenüber. Es liegt nahe, dass die Vermeidung des Wortes „Liebe“ einer Affäre gegenüber den höheren Status des Erstpartners hervorheben soll.

Doch dieser Versuch, beim Gefühl der Liebe zwischen Erst- und Affären-Partner zu unterscheiden, bedeutet noch nicht, dass dadurch der Liebe treu geblieben wird. Denn zu Beginn der Beziehung zwischen beiden Erstpartnern dürfte das Gefühl, das beide füreinander empfanden, dem Gefühl sehr ähnlich gewesen sein, das nun einer der Erstpartner für einen Affären-Partner empfindet. Doch während die Liebe zum Erstpartner wachsen durfte, wird  es in der offenen Beziehungsform vermieden, dass die Liebe zum Affären-Partner ebenfalls wachsen kann. Stattdessen wird die junge Liebe dem Status und damit verbunden den Regeln der offenen Beziehungsform geopfert, weil eine Regel besagt, dass die Zeit mit dem Affären-Partner den vereinbarten Bedingungen mit dem Erstpartner unterliegt und die Erstbeziehung nicht überdauern soll. Raum und Zeit sind damit eingeschränkt. Nur die seriell monogame (Liebe nacheinander) oder polyamore Beziehungsform (Liebe gleichzeitig) , in welcher der Partner als gleichwertig zu anderen Partnern in die bestehende Beziehung geholt wird, scheint geeignet zu sein, der Liebe treu zu bleiben.

Auch von dieser Perspektive aus betrachtet ist die im Buch „Lob der Offenen Beziehung“ von Oliver Schott vertretene Auffassung sehr konsequent, dass es in einer offenen Beziehung keine Exklusivität geben dürfe. Mithin darf auch die Liebe nicht exklusiv sein und damit letzten Endes auch der Status „Erstbeziehung“ nicht. Demgegenüber stehen Beziehungen, bei denen sich das Paar auf Grundlage ihrer Liebe zueinander Sex im Rahmen einer freiwillige Selbstverpflichtung exklusiv schenkt. Nur die Liebe – wenn die Partner ihr treu bleiben wollen – sollte dieses Geschenk geben und es auch wieder nehmen dürfen.

Offene Beziehungen scheinen sich jedoch überwiegend genau gegen die Dynamiken zu stellen, die sie selbst hervorrufen. Eine zentrale Dynamik ist, dass häufig Liebe zu Affären-Partnern entsteht. Daher erscheint es inkonsequent, wenn offen lebende Paare nicht offen dafür sind, der entstehenden Liebe Raum und Zeit zu geben, damit sie wachsen kann und aus der offenen Beziehungsform eine polyamore wird.

Auch in monogamen Beziehungen kann sich ein Partner in jemand anderen fremdverlieben. Im Unterschied zur offenen Beziehung legt es diese Beziehungsform jedoch nicht darauf an. Ein bewusst monogam lebendes Paar weiß um die Anziehungen im Außen und sollte vorwurfsfrei über die möglichen Veränderungen sprechen können, wenn sich ein Partner fremdverliebt hat. In dieser Hinsicht könnte ein bewusst monogam lebendes Paar offener als so manch offen lebendes Paar sein, welches die „Liebe“ gegenüber Affären-Partnern als geringer einzustufen versucht.

Wir scheinen der Liebe gegenüber nur treu bleiben zu können, wenn wir sie nicht bewerten, indem wir sie gewichten und beispielsweise in „wertvoll (Erstpartner)“ und „weniger wertvoll (Affären-Partner)“ einteilen. Liebe kennt keine Konzepte und daher müssen wir sie vorurteilslos und ohne Einschränkungen annehmen, wodurch sie wachsen – aber auch vergehen – darf.

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