Sexualität bei Naturvölkern

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Als Grundlage für mein Buch habe ich u.a. mehrere Bücher anderer Autoren gelesen, die sich mit Beziehungen beschäftigen. Eines davon war das Buch „Haben oder Sein“ von Erich Fromm. In diesem beschäftigt er sich u.a. auch mit der Sexualität von Naturvölkern und meint, dass eine große Anzahl von ihnen keinerlei sexuelle Tabus hätte. Jedoch führe diese sexuelle Freiheit nicht zu sexuellen Exzessen, sondern es würden sich stattdessen nach einer relativ kurzen Phase lockerer Begegnungen Paare zusammenfinden, die kein Verlangen nach Partnerwechsel mehr hätten und auch ungehindert auseinandergehen könnten, sobald die Liebe erloschen sei.

Erich Fromm führt weiter aus, dass in unserer westlichen Gesellschaft oft „haben-orientiert“ gelebt werde, denn wir „haben“ Sex. Sex wird zur Konsumware, welche die eigene Lust am „Haben“ befriedigt und das eigene Selbstwertgefühl steigere. Bei Naturvölkern sei das nicht der Fall, da viele keinen Besitz kennen.

Wenn wir die Sexualität von Naturvölkern genauer betrachten, so kann zwischen ihnen eine bemerkenswerte Gemeinsamkeit festgestellt werden: Polygamie ist größtenteils stark ritualisiert, wird nur bei Stämmen mit kleinerer Population praktiziert und folgt teilweise unzutreffenden Annahmen.

Zu den unzutreffenden Annahmen gehört beispielsweise die multiple Vaterschaft. So schlafen beispielsweise bei einigen südamerikanischen Naturvölkern Frauen, die schwanger werden wollen, nacheinander mit den besten Jägern und Kämpfern des Stammes, um von jedem die besten Eigenschaften für das Kind zu kumulieren. Sie glauben daran, dass jeder Sexpartner einen Teil von sich auf das Kind überträgt. Dadurch tragen auch alle Väter (!) bzw. Sexpartner den Elternaufwand gemeinsam. Bei anderen Naturvölkern gibt es in einigen Abständen polygame Rituale u.a. mit benachbarten Stämmen, wodurch die Nachkommen insbesondere von kleinen Stämme gesünder bleiben (Durchmischung des Genpools). Polygamie bei Naturvölkern verfolgt also tendenziell das Interesse des Stammes, dass nur die besten Eigenschaften vererbt werden.

Bei Naturvölkern, die von einer – tatsächlich zutreffenden – singulären Vaterschaft ausgehen, leben Paare hingegen tendenziell monogam oder polygyn und praktizieren so gut wie keinen Partnertausch. Speziell mit der Sexualität der Mosuo, die ebenfalls als Naturvolk gelten, habe ich mich in einem eigenen Artikel genauer beschäftigt.

Im Übrigen ist kein Naturvolk bekannt, welches die Genitalien unbedeckt zeigt oder Sexualität öffentlich praktiziert. Das deutet darauf hin, dass jedes Naturvolk Sex als einen intimen Akt auffasst, der tendenziell zwischen zwei Menschen stattfindet.

Beim beschriebenen Partnertausch geht es also tendenziell nicht darum, Sex mit dem individuellen Wunschpartner zu vollziehen, sondern um das kollektive Interesse des Stammes. Das Kollektiv steht über dem Individuum!

Wir sollten uns bewusstwerden, dass der Partnertausch bei Naturvölkern zuerst eben gerade nicht das Ziel einer freien sexuellen Entfaltung verfolgt, wie es die sexuelle Revolution der späten 1960er Jahre anstrebte. Daher finde ich es schwierig, den Partnertausch bei Naturvölkern als Grund für manche polygame Neigung oder fürs Fremdgehen anzuführen oder diese sogar als „der menschlichen Natur“ entsprechend anzusehen. Denn im Unterschied zum kollektiv geprägten Interesse von Polygamie bei Naturvölkern folgen polygame Beziehungsformen in unseren westlichen Kulturen ja dem individuellen Interesse.

Um mehr Bewusstsein in unsere Beziehungen zu bekommen, sollten wir einen ganzheitlichen Blick auf diese werfen. Dieser umfasst sowohl unseren Verstand, als auch unsere Gefühle. Die Sexualität von Naturvölkern kann einen wichtigen Beitrag leisten, dass wir auf diesen beiden Ebenen unsere Muster, Impulse sowie unsere Prägungen – welche auch unsere evolutionären Prägungen beinhalten – hinterfragen. Die Unterschiedlichkeit der Motive, mit denen Naturvölker und wir der Sexualität nachgehen, gebietet es jedoch, dass nicht von einem Sexualverhalten auf ein anderes geschlossen wird.

Natürlich kann jeder von uns die Beziehungsform wählen, die ihn erfüllt. Warum jemand allerdings die eine oder andere Bezeichungsform bevorzugt, sollte aus vorgenannten Gründen individuell und nicht generell – beispielsweise mit Bezug auf das Sexualverhalten von Naturvölkern o.ä. – begründet werden.

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