Anonymisierung von Sexpartnern

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In Videos, in denen Paare über ihre offene Beziehung berichten, ist mir aufgefallen, dass  die Sexpartner häufiger ein Synonym erhalten. Oft wird der Sexpartner des anderen Erstpartners nicht bei seinem Namen oder als „Frau“, „Mann“, „Partner“ o.ä. genannt, sondern nur lapidar als „Person“ bezeichnet oder es wird seine Herkunft „der Spanier / die Spanierin“ oder sein Beruf „der Arzt / die Ärztin“ angeführt. Denn wenn ein Sexpartner als irgendeine „Person“ bezeichnet wird, dann muss ihm keine „Persönlichkeit“ zugeordnet werden. Er wird austauschbar. Als Beispiel kann das nachfolgende Video dienen, in dem ausschließlich vom Sexpartner als „Person“ gesprochen wird.

WDR 1Live

Dieses Video wurde von einem anderen hier verlinkten Video satirisch-ironisch analysiert. Zwar bin auch ich der Meinung, dass für die meisten von uns – unabhängig von gesellschaftlichen Werten – die Nachteile offener Beziehungen überwiegen. Und auch bei mir ist der Eindruck entstanden, dass sich die Paare manches „schönreden“. Doch bin ich dagegen, diese Beziehungsform herabzuwürdigen oder ihr sogar die Berechtigung abzusprechen. Denn auch die monogame Beziehungsform – insbesondere die unrekflektierte – hat durchaus Schwächen, die bei dieser Analyse nicht erwähnt werden.

Es entsteht der Eindruck, dass die Energiebilanz einiger Partner, die im vorstehenden Video über ihre offene Beziehung sprechen, positiver ausfallen würde, wenn sie eine monogam geprägte Beziehung führen würden. Ich halte es deshalb für sehr wichtig, nicht nur den Gewinn, sondern auch den Verlust zu betrachten, welche die Beziehungsformen für einen persönlich mit sich bringen. Mein Buch verfolgt das Ziel, dass sich der Leser die Vor- und Nachteile bewusster vor Augen führen kann.

Die zuvor beschriebene Anonymisierung wird in polyamoren Beziehungen nicht praktiziert, denn im Unterschied zur offenen Beziehung wird ja mit allen Partnern eine gleichwertige Liebesbeziehung geführt. Die Partner kennen sich in der Regel untereinander, sodass sie sich gegenseitig als Persönlichkeit wahrnehmen und dadurch aus der Anonymität der „Person“ hervortreten.

Bei mir ist der Eindruck entstanden, dass diese Anonymisierung eines Sexpartners auch eine Schutzstrategie sein kann. Um sich vor der emotionalem Belastung zu schützen, die ein Sexpartner für den außenstehenden Erstpartner verursachen kann, wird er auf eine anonyme, unpersönliche Ebene projeziert und auf eine neutrale Bezeichnung reduziert . Dadurch wird die Bedeutung des Sexpartners abgewertet und zugleich die Bedeutung des Erstpartners hervorgehoben. Sobald ein Sexpartner mit seinem (Vor-)Namen genannt oder als „Herzensmensch“ bezeichnet werden würde, wäre er vermutlich in der Erstbeziehung präsenter und könnte dann stärker als Bedrohung für die Erstbeziehung wahrgenommen werden.

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